Von 1972 bis 1973 ehrenamtlicher Kinderdorfleiter
Von 1973 bis 1982 2. Vorsitzender von Kind und Familie e. V.
Pfarrer Georg Geßner
wurde am 28.03.1931 in Schweinfurt geboren. Sein Vater war damals schon tot. Dieser war Elektroingenieur und verunglückte im Kraftwerk der Schleuse Klingenberg-Trennfurt. Seine Mutter zog ins Elternhaus nach Schweinfurt.
Dort wuchs Georg Geßner auf, ging auf das Gymnasium und trat der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg bei, deren Gaufeldmeister er in Schweinfurt bis zum Eintritt ins Priesterseminar Würzburg 1952 war. Georg Geßner machte 1951 Abitur und studierte ab Wintersemester 51/52 Theologie und Philosophie in Würzburg. Am 22.07.1976 wurde er zum Priester geweiht. Er war dann Kaplan in verschiedenen Pfarreien, u.a. auch in Stockstadt. Obwohl er ein eifriger Kaplan war, steckte das Pfadfindertum zu stark in ihm. Er suchte noch ein soziales Betätigungsfeld außerhalb der unmittelbaren Seelsorge und traf auf Frau Margarete Popp und ihr 1955 gegründetes Goldenes Kinderdorf in Würzburg. Frau Popp freute sich über diese Unterstützung und band ihn in die Arbeit ein (ca. 1962). 1967 wurde Georg Geßner 1. Vorsitzender des Vereins Kind und Familie, des Trägervereins für das Goldene Kinderdorf.
Es waren die Jahre des ausgedehnten Kinderbooms nach den Jahren der stärksten Geburtenrate. Das Goldene Kinderdorf war ständig überbelegt und fast täglich kamen neue Anfragen. Das veranlasste Geßner nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Er entschloss sich, ein neues, sehr großes Kinderdorf zu bauen. Zuerst ging es auf die Suche nach einem Standort. 7 Orte waren in der Auswahl. Zuletzt stand die Wahl zwischen Oberriedenberg und Kleinrinderfeld.
Georg Geßner war inzwischen Kurat von Oberriedenberg und hatte sich schon ein Wochenendgrundstück am gegenüberliegenden Berg gesichert. Das opferte er und entschied sich, an diesem steilen Hang das neue Kinderdorf zu bauen.
Das war die Zeit meines Einstiegs in die Kinderdorfarbeit – 1966.
Georg und ich kannten uns seit der Zeit unserer Pfadfinderzeit. Er war Gaufeldmeister in Schweinfurt und ich in Miltenberg. Außerdem war Georgs Onkel Federle Förster in Kollenberg in meiner Heimatgemeinde Dorfprozelten. Dort trafen wir uns oft. Gleichzeitig begannen wir dasselbe Studium zur selben Zeit und waren von 1952-1956 im Priesterseminar Würzburg und blieben (Pfadfinder-)Freunde (fast) ein leben lang.
Ich war inzwischen Volksschullehrer mit beiden Staatsexamen, Dipl. Theologe und Lehrer der Städtischen Berufsschule Würzburg. 1963 wurde ich zum Landesfeldmeister gewählt, war also zuständig für die Pfadfinderarbeit der Diözese Würzburg.
Damit war ich ein guter Fang für Georg Geßners Pläne des neuen Kinderdorfs. Er spannte mich in die Planungen ein, wir holten uns Anregungen bei Pfarrer Klar in Pforzheim und Pfarrer Magnani im Kinderdorf Klinge bei Seckach.
Bei der Wahl des Standortes war ich für Kleinrinderfeld, aber Riedenberg siegte. Aus damaliger Sicht sprach einiges für Riedenberg. Es waren die wirtschaftlichen Boomjahre und man schwärmte (sehr illusionär) von der industriellen Entwicklung der Rhön. Mir erschien das Riedenberger Gelände als zu steil. Das war auch richtig. Die Baukosten waren erheblich teurer als auf einem ebenen Gelände (wie in Kleinrinderfeld).
Wir planten mit Architekten die Häuser und suchten überall Geldquellen. Viele Mitglieder wurden geworben. Besonders hervor ragte die Pfadfinderarbeit. Als Landesfeldmeister hatte ich die Möglichkeit, viele Pfadfinder einzuspannen, die wiederum Familienmitglieder und Bekannte warben.
Georg Geßner konnte viele aus seinen ehemaligen Kaplansstellen anwerben. Besonders erfolgreich war er im Pfadfinderstamm Stockstadt. Vier Stockstadter waren noch bis vor wenigen Jahren Mitglieder des Vereins Kind und Familie und regelmäßige Besucher der Mitgliederversammlungen.
Der höchste Beitrag kam aus dem ehemaligen Pfadfindergau Schweinfurt. Dem damaligen Gaufeldmeister Heiner Gehlen gelang es, einen starken Trupp zu organisieren, der Abend für Abend in möglichst viele Pfarreien der Diözese reiste, um für das Kinderdorf zu werben. Sie haben das einige Jahre gemacht und ganz erhebliche Summen gebracht. Mir persönlich gelang es 1968 auf der Bundesversammlung der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg gegen harte Konkurrenz durchzusetzen, dass die Aktion „Flinke Hände, flinke Füße“ 1968 für das Kinderdorf stattfindet.
Bei dieser Aktion arbeiteten alle katholischen Pfadfinder Deutschlands eine Woche lang für einen sozialen Zweck weltweit. Die Aktion 1968 erbrachte den Reinerlös von über 173.000 DM.
Daneben fanden noch zwei Bauaktionen der DPSG in Riedenberg statt. Das Rüsthaus St. Georg der DPSG spendete noch Sachbeiträge (große Planen, Zelte, Zeltmaterial etc.)
Aber alle finanziellen Mittel waren zu gering für die gewaltige Planung, denn wir waren nur ein kleiner selbständiger Verein.
Georg Geßner hatte sich ganz dem Bau des Kinderdorfs Riedenberg gewidmet. Er war als 1. Vorsitzender zurückgetreten und war nur noch Ehrenvorsitzender.
Den Vorstand gab er an Hans Martin ab, der von Hans Goldschmitt aktiv unterstützt wurde. Beide hatte Geßner als Beamte der Regierung von Unterfranken kennengelernt. Zunächst schien es eine gute Wahl zu sein. Beide engagierten sich enorm und es ging voran in Riedenberg. Es war ein gewaltiges Projekt, bis der Erfolg offensichtlich zu ehrgeizig machte. Es entstand eine große Halle, ein Schwimmbad und eine Sonderschule. Inzwischen beliefen sich die Schulden auf 3 Millionen DM. Aber die Herren waren nicht zu bremsen. Als dann auch noch konkrete Pläne für ein Berufsbildungszentrum des Vereins auf dem gegenüberliegenden Bergrücken auftauchten, musste Einhalt geboten werden. Die Planung dieses Zentrums war ein Projekt der Phantasie eines Industriebooms und sollte den Kindern des Kinderdorfs dienen.
Da alle Planungen für den Auf- und Ausbau des Rhönkinderdorfs in Würzburg liefen, fielen sehr hohe Fahrtkosten an. Die wurden selbstverständlich nach der Reisekostenverordnung abgerechnet, da niemand die Kosten privat zahlen konnte.
Gott sei Dank konnte das Berufsbildungszentrum verhindert werden, das mit Sicherheit eine Bauruine geworden wäre. Dies konnte nur dadurch erreicht werden, dass die Vorstandschaft abgewählt wurde. Die abgesetzte Vorstandschaft rächte sich und gründete am 18. August 1971 als Gegenmodell die „Weltweite Kinderhilfe“, die noch heute besteht.
Leider schlug sich Frau Margarete Popp auf die Seite der „welt-weite Kinderdorf“-Paten und hätte damit fast die Existenz des Goldenen Kinderdorfs gefährdet, das sie gründete und um das sie sich so große Verdienste erwarb. Denn es geisterten Pläne, das Würzburger Goldene Kinderdorf zu verkaufen und damit die Schulden in Riedenberg zu minimieren. Die Häuser auf der Keesburg / Sieboldshöhe hätten trotz ihres schlechten baulichen Zustands einen schönen Batzen abgeworfen, denn der Stadtteil war damals ein sehr begehrtes Baugebiet. Aber die Summe von ca. 1/2 Million DM hätte bei 3 Millionen DM Schulden in Riedenberg wenig genützt – und es gäbe heute kein Goldenes Kinderdorf.
Die rebellierende Vorstandschaft nahm vom Goldenen Kinderdorf die Mitglieder- und Spenderlisten mit und bewarb unsere Mitglieder für den neuen Verein.
Verwunderung und Erstaunen lösen aus, dass alle Protokolle der Mitgliederversammlungen und Vorstandssitzungen, sowie die Mitgliederverzeichnisse etc von 1968 bis einschl. 1970 im Archiv des Vereins fehlen. Weshalb?
Der neue Vorstand mit LGDir. Rudolf Lutz stand nun vor enormen Schwierigkeiten. Einmal musste der Bau des Kinderdorfes Riedenberg, das großteilig schon belegt war, vollendet werden – mit 3 Millionen DM Schulden. Da schlug ich Vorstand und Mitgliederversammlung vor, einen neuen Träger zu suchen und empfahl die Katholischen Kirche, die einzige Institution, die diese Summe aufbringen konnte. Alle Beziehungen ließen wir spielen und wir konnten Bischof Stangl gewinnen, das Kinderdorf Riedenberg zu übernehmen. Die Kirche bekam ein Riesenobjekt mit 3 Millionen DM Schulden. Das Riedenberger Kinderdorf existiert noch heute sehr gut. Das war eine richtige Entscheidung.
Der Verein Kind und Familie verpflichtete sich, 75 % der Einnahmen aus den Spenden an das Rhönkinderdorf abzutreten, bis vor wenigen Jahren. (Erst zum 31.12.2006 wurde diese Regelung durch Domkapitular Dietrich Seidel beendet.)
Die Entscheidung der Spendenabtretung war absolut falsch. Für die Kirche bedeutet dieser Betrag nicht viel und das Goldene Kinderdorf hätte das Geld ganz dringend gebraucht. Seit 1967 war ins Goldene Kinderdorf nicht mehr investiert worden. Die Häuser waren in der billigen Bauweise jener Zeit errichtet worden.
Als wir nun diese Häuser übernommen haben, waren sie in einem katastrophalen Zustand. Ich übernahm 1972 die Heimleitung und war voll damit beschäftigt, die schlimmsten Baumängel zu beseitigen. Ganz schlimm war der Zustand der elektrischen Anlagen. Überall bekam man Stromschläge. Da ergab ein glücklicher Zufall, dass der langjährige Würzburger Pfadfinder-Gaufeldmeister und jetzige Ingenieur Holtschke Chef des Technischen Zentrums der Universität Würzburg war. Er konnte seine beiden Abteilungsleiter Baumann und Zang gewinnen, die wiederum ihre Angestellten überzeugen konnten, ein Hilfsprogramm für das Goldene Kinderdorf zu erstellen. In mehreren Monaten beseitigten sie systematisch in ihrer Freizeit die schlimmsten baulichen Mängel im Goldenen Kinderdorf. Vielfach brachten sie auch noch Materialien als Spende mit. Dieser gewaltige Einsatz sollte in der Geschichte des Kinderdorfs nicht vergessen werden.
In den folgenden Jahren konnten wir Schritt für Schritt mit professionellen Kräften bis 1982 das Goldene Kinderdorf in einen Normalzustand versetzen.
Daneben lief natürlich die normale Kinderdorfarbeit.
In meiner Zeit als Heimleiter und dann als Beauftragter des Vorstands für den Normalbetrieb des Kinderdorfs, lernte ich den großartigen Einsatz der sog. „Kinderdorfmütter“ schätzen. Wenn ich oft die abfälligen Bemerkungen über die „Heime“ hörte, hätte ich diese Leute gerne ins Kinderdorf mitgenommen. Was diese Mütter leisteten, war absolut bewundernswert. Sie waren Tag und Nacht für ihre Kinder da, für ihre Sorgen und Nöte, nicht nur für die Versorgung mit dem Notwendigsten. Sie blieben die Mutter fürs ganze Leben und sorgten oft noch für die Enkel. Frau Eirich, Frau Heßberger, Frau Hovehne, Frau Ringleb – alles ausgereifte Persönlichkeiten, die andernorts gewürdigt werden. Mit ihnen arbeitete ich sehr gerne zusammen, in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit.
Zwei Beispiele für die schwierige Arbeit:
1. Fall:
Von einer Frau hatten wir mehrere Kinder in verschiedenen Häusern. Sie hatte 6 Kinder von 5 Männern. Die Kinder waren mit einer Erzieherin auf dem Kiliani-Volksfest. Die Erzieherin kam völlig verstört ohne die Kinder zurück. Die betroffenen Kinderdorf-Mütter waren ratlos und riefen mich an. Ich schlug vor, die Mutter der Kinder in Seligenstadt anzurufen. Die Kinderdorf-Mütter waren sehr ängstlich und fürchteten Schwierigkeiten wegen der Aufsichtspflicht. Ich rief an und setzte die Mutter massiv unter Druck. Diese leugnete alles und beschimpfte uns wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht. Ich behauptete konsequent, dass die Kinder bei ihr seien und sie sofort wieder zurückgebracht werden müssen. Schließlich brach sie doch zusammen und gestand, dass mit den Kindern ein heimliches Treffen mit der Oma auf Kiliani verabredet war und die Oma die Kinder entführte.
2. Fall:
Am 2. Januar ein Hilferuf von Frau Eirich: ein Mädchen dieser Familie (14 Jahre) und ein anderes Mädchen rebellierten und trieben sich mit Türken herum. Obwohl ich krank war, bestellte ich mir die Mädchen. Zunächst beschimpften sie maßlos auf Frau Eirich und drohten, sich solange mit den Türken herumzutreiben, bis sie schwanger seien und Frau Eirich dann wegen Aufsichtspflichtverpflichtung angezeigt würde. Da kam mir ein Einfall: „Stell Dir mal vor: Deine Tochter kommt dann auch ins Kinderdorf. Angenommen, sie lässt sich in 15 Jahren auch von Türken schwängern. Passt Dir das?“ „Nein, das will ich nicht!“ entgegnete sie.
Der Friede kehrte wieder ein in Haus 1.
Von allen bisherigen Vorsitzenden war Pfarrer Georg Geßner als längster im Amt und auch der aktivste (manchmal zu aktiv). Inzwischen Pfarrer von Kleinrinderfeld, widmete er seine gesamte freie Zeit dem Goldenen Kinderdorf und dem Verein Kind und Familie.
Herr Deublein war zunächst Schulleiter in Riedenberg und dann Rektor in Sommerhausen. Er erledigte die gesamte Verwaltungsarbeit. Eine ungeheure Leistung! Wir waren ja ein völlig autarker Verein. Ich drängte darauf, dass er entlastet werde und wir einen Betreuungsvertrag mit der Caritas abschlossen, was sich dann bestens bewährte, Ich stellte fest, dass eine Heimleitung als Ehrenamtlicher – trotz pädagogischer Ausbildung – nicht zu leisten ist und schlug den stv. Caritasdirektor Arnulf Schuler als nebenamtlichen Heimleiter vor, was sich ebenfalls gut bewährte. Dadurch hatte ich dann als Vorstandsmitglied Zeit, mich um die vielen anderen Dinge im Kinderdorf zu kümmern. Aber der Aktivste war der Vorsitzende!
Unendlich viele Sitzungen wurden abgehalten, abwechselnd im Pfarrhaus Kleinrinderfeld oder in unserem Wohnzimmer. Fahrtkosten oder die Bewirtungskosten wurden nie ersetzt.
Viele Einzelbesprechungen und Aktionen wurden durchgeführt. Geßner machte mit den Kindern viele Freizeitunternehmungen: Zeltlager, Ausflüge, Bootsfahrten (Geßner hat von eigenem Geld Motorboote gekauft) etc.
Überhaupt steckte er viel privates Geld ins Kinderdorf. Seine Mutter hatte eine gute Pension und sie unterstützte seine Arbeit vorbehaltlos.
Frau Geßner war nicht nur sehr sympathisch, sie war auch eine gütige Frau. Das kam dem Kinderdorf sehr zugute.
Manchmal waren Geßners Aktionen auch zu spontan. Er erschien im Kinderdorf, riss die Kinder aus den Familien und unternahm Aktionen ohne bei den Müttern nachzufragen, ob sie auch etwas geplant hätten. Das gab immer wieder massiven Ärger und ich musste oft zwischen den Müttern und ihm vermitteln.
Überhaupt verlangte Geßner von uns den gleichen totalen Einsatz, wie er ihn erbrachte.
Dabei hatte ich neben meinem Lehrerberuf noch mehrere Jobs: ich war in dieser Zeit 6 Jahre stv. Bundesvorsitzender der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg, 6 Jahre Präsident der Conférence Catholique du Scoutisme Europe-Mediterranée (kath. Konferenz des Pfadfindertums Europa-Mittelmeer), Vorstandsmitglied der Würzburger Telefonseelsorge und ab 1976 deren Leiter; also mehr als genug Beschäftigung. Aber der Freund Geßner gab nicht nach.
Eines Morgens kam er zu meiner Frau: „Wo ist Gutbert?“ „Der wird gerade in der Theresienklinik operiert.“ „Ich muss ihn vor der Operation noch unbedingt sprechen!“ Da konnte ihm meine Frau nur noch nachrufen: „Aber der Sargdeckel bleibt zu!“
Die 70er Jahre wurden dann ruhiger. Die Hauptmängel wurden durch die Unizentrale-Mannschaft und die Bundeswehr aus Giebelstadt beseitigt. Die finanzielle Situation wurde dann besser, so dass Firmen herangezogen werden konnten. Die Vereinsarbeit war erfolgreich, die Zusammenarbeit im Vorstand verlief erfolgreich und reibungslos; bis zu einer merkwürdigen Situation:
Der 1. Vorsitzende Pfarrer Georg Geßner, der das Goldene Kinderdorf vor dem Untergang gerettet hatte, eine vorbildliche Arbeit in der Freizeitbetreuung geleistet hatte etc, erwies sich auch nur als Mensch. Vaterlos und als Einzelkind aufgewachsen, hatte er immer schon einen eigenen Kopf. Aber dann hatte er noch 27 Jahre Zeit, die negativen Eigenschaften eines Klerikers auszuprägen: z. B. Der Pfarrer hat immer recht und immer das letzte Wort.
Konkret: Plötzlich passte ihm die Arbeit des Heimleiters Arnulf Schuler nicht mehr – niemand weiß mehr den eigentlichen Grund – und er entließ ihn fristlos. Auf meinen Einspruch, das könne er nicht so einfach, entgegnete er: „Du bist allein, wir haben zwei Stimmen!“ (Herr Deublein war sklavisch auf seiner Seite.) Dass dazu eine Sitzung und eine Abstimmung nötig war, passte nicht in seine klerikal-autoritäre Vorstellung. Um die Bedrohung des Kinderdorfs zu vollenden, kündigte Geßner auch noch die Hausleiterinnen Frau Hessberger und Frau Hovehne, die sich angemaßt hatten, dem Herrn Pfarrer zu widersprechen.
Eines Abends erschien Herr Erich Deublein im Kinderdorf, um den neuen Heimleiter, einen Lehrer, der keinerlei Kinderdorferfahrung hatte, vorzustellen. Er ging mit ihm von Haus zu Haus und traf dabei in Haus 3, bei Frau Hessberger, auf mich. Ich erklärte den beiden, dass die Einsetzung eines neuen Heimleiters so nicht möglich sei, weil keine Vorstandssitzung stattgefunden habe, in der beschlossen wurde, dass Herr Arnulf Schuler als Heimleiter entlassen und dieser Herr zum neuen Heimleiter ernannt worden wäre. Ich bat die beiden Herren höflich, das Kinderdorf zu verlassen.
Eine sehr hitzige Sitzung bei Prälat Schultes endete in einem Kompromiss: Die bisherigen Vorstandsmitglieder geben ihre Ämter auf und es wird eine neue Vorstandschaft gewählt. Wir einigten uns auf einen gemeinsamen Freund als Vorsitzenden: Pfarrer Elmar Albert, Pfarrei St. Burkard.
Am 13. Mai 1982 wird Pfarrer Elmar Albert zum 1. Vorsitzenden des Vereins Kind und Familie gewählt und er wird ein sehr erfolgreicher Vorsitzender bis zum 17. September 1999.
Damit war die Ära Georg Geßner, Erich Deublein und Gutbert Klug beendet. Ich musste mich entscheiden, eine jahrzehntelange Freundschaft oder das Kinderdorf zu retten.
Es wurde eine zweite Katastrophe sichtbar. Hatte Frau Margarete Popp mit ihrer Parteinahme für die verantwortungslose Vorstandschaft 1970/72 ihr eigenes Werk bedroht, tat Georg Geßner, der das Kinderdorf gerettet hat, also der 2. Gründer des Kinderdorfs war, das Gleiche: Er bedrohte die Existenz des Kinderdorfs.
Doch Pfarrer Albert mit Dr. Rudolf Wirsing und der Kinderdorfmutter Ortrud Ringleb und ihre Nachfolger schufen das Kinderdorf, wie wir es jetzt kennen …..
In den letzten Jahren hat sich Georg Geßner wieder mit dem Goldenen Kinderdorf versöhnt und auch unsere Freundschaft wiederbelebt. Er nahm wieder aktiv an den Mitgliederversammlungen teil und machte eine Stiftung zu Gunsten des Kinderdorfs.
So konnte ich bei seinem Requiem am 01.04.2005 seine großartige Persönlichkeit und seine enormen Verdienste um das Kinderdorf vorbehaltlos würdigen.
Die Kinderdorfchronik schreibt unter dem 26. März 2005:
„Herr Pfarrer Georg Geßner, Initiator und Gründer des Caritas Kinder- und Jugenddorfs St. Anton in Riedenberg, ist verstorben; nach einem Leben voll Arbeit und Sorge um junge Menschen im Goldenen Kinderdorf und dem Caritas Kinder- und Jugenddorf St. Anton in Riedenberg: Er war von 1967 bis 1982 Vorsitzender und Vorstandsmitglied des Vereins Kind und Familie e.V..
Herr Pfarrer Geßner verfasste einige Kinder- und Jugendbücher, die er immer persönlich den Kinderdörfern überbrachte. In dankbarer Erinnerung nahmen wir zahlreich an der Beisetzung am 1. April 2005 in Schweinfurt teil.“